Montag, 12. November 2012

Patienten der Kunst

Und am ersten Tag erschuf der Mensch den Beat. Eine romantische Vorstellung, wie einer der ersten Primaten zwei Holzstücke aufeinander schlug. Gleichmäßig und immer wieder, bis der Takt in die Beine überging und diese sich bewegten. Vielleicht kamen noch andere hinzu, vielleicht wollte dieser Primat ihn auch für sich behalten und klopfte den ersten Takt der Menschheit allein in seiner Höhle. Jedenfalls, und das ist sicher, passte sich der Takt an – dem rhythmischen Herzschlag, dem pulsierenden Klopfen tief im Inneren des Körpers. Doch wer gibt ihn vor, diesen Grundtakt, nachdem alle funktionieren? Ist es das, was man Seele nennt? Ist es Gott? Das, was den Menschen tief inne wohnt und was die Gleichheit eines jeden Einzelnen markiert?
Spulen wir die Zeit einige Jahrtausende vor, weg von den Primaten mit den Holzstöcken, hin zu den Primaten mit den Mischpults, den Verstärkern, den wummernden Bässen, den verrauchten Diskotheken – dem Techno. Früher war sie mir verhasst, diese Musikrichtung. Zu Plump, immerwährendes Wummern im immer gleichen Takt, ohne Abwechslung, ohne Tiefe. Doch irgendwann drang sie tief in mich ein, ergriff mich, einfach so - und ließ mich nicht mehr los. Die erste Stunde im Technoclub war unerträglich. Nach dieser ersten Stunde begann mein Fuß mitzuwippen, nach einiger Zeit ging der Takt in das eine, dann in das andere Bein über. Ich tanzte, tanzte zu Techno. Niemals hätte ich zuvor gedacht, dass mir das wiederfahren könne, oder besser gesagt: einfahren und sich festsetzen könnte. Ich tanzte, bis ich Blasen an den Füßen bekam, tanzte, bis sich die Musik mit meinem Körper vereinte, der Beat mich bewegte. Tanzte mich in einen Rausch, mit all den anderen um mich herum, die ebenso besessen wurden – oder schon lange waren. Seit diesem Tag ging und gehe ich immer noch in diese Clubs, höre mir diesen fürchterlich monotonen, immer gleichen Rhythmus an und lasse mich von ihm bewegen. Wo er mich hintreibt, ist völlig egal, die Clubs sind nicht so groß, Platz ist genug. Jedenfalls hat er sich tief festgesetzt, ist vielleicht Fleisch geworden und lässt meine Seele tanzen, wenn ich mich ihm lang genug hingebe. Merkwürdig das – kann da noch von freiem Willen die Rede sein, wenn der Körper sich von selbst bewegt? Klopft der Beat nach dem Takt der Herzen oder hat jener erste Primat vielleicht doch den Takt verändert, nachdem unsere Herzen schlagen?
Ich denke, dass die meisten von der einen oder anderen Musik besessen sind, sich nur mit ihr in einen Zustand versetzen können, der sie davon treibt, für einige Momente alles vergessen lassen kann, was sie bewegt und definiert. Von allen Zwängen und Konventionen losgelöst, lachend und klatschend, vielleicht sogar malend. Möglicherweise ist das ja sogar die Triebfeder aller Kunst – sich befreien von allem, was einen verpflichtet – oder besser: sich befreien lassen. Denn das ist es, was der Beat mit mir, die kreischenden Gitarren mit den Headbangenden Metalheads oder die Fußballchöre mit den biergetränkten Fans macht: Er bewegt sie, löst sie los, treibt sie soweit, dass sie von allen guten Geistern verlassen zu sein scheinen (Oder eben bessessen!). Der Maler pinselt sich in Ekstase und wundert sich nachher, was er da fabriziert hat – der Saxophonist spielt das gigantischste Solo aller Zeiten und hat nachher die größten Mühen, sich zu erinnern. Geküsst von der Muse, Besessen von der Kunst, getrieben vom Beat – allesamt Patienten.

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Zuletzt aktualisiert: 26. Feb, 22:22

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